1. September 2018
Von Christa Kronshage
Seine Augen sind hellwach. Sprechen kann er fast nicht mehr. Doch sein Gesichtsausdruck zeigt, wenn er sich freut. An diesem Nachmittag freut sich Ralph Quellhorst. Wir besuchen ihn in dem schönen Altenheim Chapel Hill in Canal Fulton/Ohio. Seit Jahren leidet er an der Parkinson-Krankheit, sitzt im Rollstuhl, ist auf Pflege angewiesen.
Ohne ihn wäre die Kirchengemeinschaft zwischen der Evangelischen Kirche von Westfalen und den UCC-Regionen Indiana-Kentucky und Ohio nur eine schöne Idee geblieben. In einem kleinen Festakt in der Kapelle des Altenheims erhält er aus der Hand von Präses Annette Kurschus das Bronzekreuz der westfälischen Landeskirche. Ich erinnere daran, wie Präses Hans-Marin Linnemann damals klar erkannt hat: Reverend Quellhorst ist der richtige Mann für diese Verbindung zwischen unseren Kirchen. Damals, 1980, war er Conference Minister (Superintendent) von Indiana-Kentucky. Er hat das amerikanisch-westfälische Projekt mit Leidenschaft und zugleich mit Klugheit und Umsicht vorangetrieben. Nachdem er Conference Minister in Ohio geworden war, wuchsen und blühten auch dort die partnerschaftlichen Beziehungen.
Zunächst lag der Fokus stark auf den German roots, den deutschen Wurzeln. Die Geschwister in dieser von deutschen Migranten geprägten Kirche wollten etwas über ihre Abstammung und Herkunft erfahren. Das war für ihr Selbstverständnis, für ihre Identität wichtig. Doch der nur rückwärtsgewandte Blick konnte auf Dauer nicht verheißungsvoll sein. In den 1990-er Jahren sagten wir in Westfalen ganz klar: Wir brauchen einen anderen Schwerpunkt. Die junge Generation rückte stärker in den Blick. Ohnehin arbeiteten Jugendliche aus Westfalen ehrenamtlich in Summer Camps, das Young-Ambassadors-Programm läuft seit nunmehr 25 Jahren mit großem Erfolg. Bei dieser besonderen Form des Austauschs lernen deutsche und amerikanische Teenager, im jeweils anderen Land als Botschafter ihres Glaubens, ihrer Kirche und auch ihres Landes aufzutreten. Außerdem gibt es lebendige Gemeindepartnerschaften.
Ralph Quellhorst hat diese Entwicklung maßgeblich mitgestaltet. Nun ist er 81 Jahre alt, krank und gebrechlich. Aber geistig wach und interessiert. Seine Tochter Mindy Quellhorst versichert, dass er alles versteht. Und wenn er mit kaum hörbarer Stimme etwas sagt, versteht sie ihren Vater am besten. Wenn das nicht klappt, buchstabiert er mit dem Finger, was er sagen will: Auf einer Tafel, die er vor sich liegen hat, stehen die Buchstaben des Alphabets; sein Zeigefinger wandert von einem zum andern und bildet so die nötigen Worte. Auf diese Weise erzählt er uns, was sein Großvater im Jahr 1920 getan hat: Er kaufte einige Kühe und schickte sie nach Deutschland, zu seinen Verwandten in der Nähe von Minden. Dort herrschte nach dem Ersten Weltkrieg der Hunger. Die Quellhorsts in Westfalen konnten nun mit Milch und Milchprodukten Geld verdienen. Die Tat des Großvaters war mutig, denn er widersetzte sich damit der Stimmung, die seit dem Kriegseintritt der USA 1917 im Land herrschte. Seitdem wurden die deutschstämmigen Amerikaner nämlich als Feinde diskriminiert.
Empfangen hat uns im Altenheim ein Handglockenchor von Bewohnern. Zum Abschied revanchieren wir uns vierstimmig mit dem Lied „Wohl denen, die da wandeln“. Wir bekommen Beifall. Ralph Quellhorst applaudiert kräftig mit.