Der Amerikanische Traum: Hoffnung oder Furcht?

 Von Dr. Ulrich Möller

„Where are you from?“ – „Wo kommst du her?“ werden wir in den USA immer wieder gefragt. Und bis auf die „First Nations“, die indianischen Ureinwohner, hat auch jeder Amerikaner seine Vorfahren außerhalb der USA. Die Gründungsväter waren im 17. Jahrhundert aufgrund religiöser Intoleranz aus Europa ausgewandert. Die USA, ein Schmelztiegel der Migration aus aller Welt. „e pluribus – unum!“ – „Aus vielen Eines!“ So steht es am Fuße der Freiheitstatue im Hafen von New York geschrieben. Zum Fundraising für den Bau der „Statue of Liberty“ wurde 1883 ein Gedicht geschrieben. Es bringt den Gründungsmythos der USA als „Land of the Free“ bewegend zum Ausdruck – Amerika als Zufluchtsort für die geknechteten Massen aus Europa:

„Gib mir deine Müden, deine Armen, deine niedergedrückten Massen, die sich danach sehnen frei zu atmen. Gib den Elenden den Unterschlupf deiner wimmelnden Ufer. Sende sie, diese Heimatlosen, Gewitter-Geschüttelten, zu mir. Ich halte meine Lampe hoch neben dem goldenen Tor.“

Amerika – Land des neuen Anfangs, der unbegrenzten Hoffnung und Möglichkeiten. Land auch der großzügigen und hilfsbereiten Menschen – die haben wir auf vielfältige Weise erlebt während der Kirchenleitungsreise. Und zugewanderte Menschen, die aufgrund schlimmer religiöser und ethnischer Diskriminierung in ihrem Land keine Zukunft mehr hatten. Wie unser Taxifahrer in Washington, ein Sikh aus Indien, erkennbar an seiner Kopfbedeckung.

Aber zugleich scheint das „aus Vielen ein Volk“ in diesen Tagen fast so weit weg wie in den Tagen der Rassentrennung. Die politische Zerrissenheit dieses Landes war für uns jeden Tag greifbar während unserer Reise – in den Nachrichten und Kommentaren, immer wieder in den Gesprächen mit den Menschen, die wir trafen. Zum Abschluss in Washington bündeln sich diese Eindrücke noch einmal.

Letzte Station vor unserem Rückflug ist das National Museum of African Amerikan History and Culture. Es lässt die amerikanische Erfahrung auf bewegende Weise aus dem afro-amerikanischen Blickwinkel lebendig werden. Durch die Augen von Menschen, deren Vorfahren mit den Sklavenschiffen grausamsten Menschenhandels aus Afrika entführt worden waren. Ausgeschlossen von den in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 allen Menschen zugesprochenen unveräußerlichen Rechten. Die amerikanische Erfahrung derer, die bis heute immer wieder Diskriminierung erfahren. Und zugleich stolz zeigen, wie sehr sie zum Reichtum Amerikas beigetragen haben, auch heute beitragen zu dem, was großartig ist an den USA. Die Ausstellung geht unter die Haut. Mutige Frauen immer wieder, wie Rosa Parks, die sich 1955 der Rassentrennung in öffentlichen Bussen verweigerte. Der Kampf um Bürgerrechte; Martin Luther King: „I have a Dream“. Mit Barack Obama, dem ersten „President of Color“, schien er sich endlich erfüllt zu haben, der amerikanische Traum, der allen offensteht.

Aber heute, 50 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings, erleben wir diese Ausstellung, während gleichzeitig ein US-Präsident öffentlich Rassismus befeuert, politische Gegner zu Staatsfeinden erklärt und die Gesellschaft gezielt spaltet… „Black Lives Matter!?“ Nicht für Donald Trump. Er verkörpert die weiße Wut-Tradition gegenüber der Bürgerrechtsbewegung. Er instrumentalisiert den amerikanischen Traum ausschließlich zur Mobilisierung des Kernes seiner weißen Wahlklientel. Sein „Amerika First!“ meint: „Wir zuerst!“ Zurück zur Vorherrschaft der Weißen – als das „Weiße Amerika“ noch groß und stark genug war, seine Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen.

Aber der ruchlose  Rechtspopulismus Trumps ist nicht das Kernproblem. Er ist das Symptom einer tiefgehenden Spaltung des Landes. Zu lange haben die Politiker den amerikanischen Traum als Kitt der sich immer tiefer spaltenden Gesellschaft instrumentalisiert, ohne die Probleme der Menschen ernst zu nehmen, geschweige denn zu lösen. Das prosperierende und dominierende Amerika der Ostküste und der Westküste ist durch Welten getrennt von dem Amerika der „Middland“-Staaten dazwischen. In einem Hintergrundgespräch am letzten Abend macht der aus Witten stammende deutsche Washington-Journalist Dirk Hautkapp deutlich: Trump hat Erfolg als Heilsträger einfacher Lösungen für die sich gedemütigt fühlenden Middland-Menschen zwischen Ostküste und Westküste. Immer wieder haben Politiker ihnen Versprechungen gemacht, die sie anschließend gebrochen haben. Wirtschaftlicher Niedergang der klassischen Industrien, Arbeitslosigkeit und Stagnation ihres Einkommens  – gerade die weiße untere Mittelschicht fühlte sich vom Grundversprechen des amerikanischen Traums ausgeschlossen, dass die Kinder es einmal besser haben werden. In vielen Staaten zwischen Ost- und Westküste, besonders im ländlichen Bereich, gibt es ein Sozial- und Bildungsgefälle, das wir bei uns kaum kennen. Dazu kommt das rechts-konservative Weltbild der vom „Prosperity-Gospel“ („Wohlstands-Evangelium“) geprägten großen und einflussreichen evangelikalen Kirchen …

In dem einen oder dem anderen finden sich weite Teile der weißen amerikanischen Bevölkerung wieder. Beides bediente Trump im Wahlkampf und beutete deren Ängste aus. Auf beide Gruppen setzt er jetzt seine Strategie zur Sicherung seiner Macht. Nach dem Slogan „Versprechen erfüllt!“ hat er ihnen Hoffnungen gemacht mit symbolischen Geländegewinnen und verteufelt als Präsident die politischen Gegner – kritische Medien sowie die Demokratische Partei – als Staatsfeinde. Aus Furcht davor, im Falle von Wahlverlusten bei den Mid-Term-Wahlen im November die ihn bislang schützende Mehrheit im Kongress zu verlieren, ruft er die rechten religiösen Führer öffentlich auf, dafür zu sorgen, dass alle ihre Kirchenmitglieder zur Wahl gehen und für die Republikaner stimmen. Und Trump droht: „Ihr seid schuld, wenn ich rechtlich angeklagt werde und mein Amt verliere. Und wenn das geschieht, werdet Ihr alle Eure Religionsfreiheit verlieren.“ Allein eine solche Aussage müsste schon die Integrität des Präsidenten so erschüttern, dass er im Amt unhaltbar wäre. Aber das Misstrauen gegenüber „denen in Washington“ ist so verbreitet, und Trump´s 55 Millionen Twitter-Follower sind so durch seine geschickte Propaganda beeinflusst, dass sie ihm alles verzeihen, was sie sonst keinem Politiker durchgehen lassen würden.

Nach langer Zurückhaltung und Schweigen zu seinem Nachfolger hat sich sein Vorgänger Barack Obama jetzt zurückgemeldet im (Wahl-) Kampf um die Seele der Amerikaner.

Und in der Tat: Beide sind einander ausschließende Verkörperungen des amerikanischen Traums.

Obama verkörpert seine prophetische Version: Alle leben zusammen in Freiheit, alle haben faire Chancen zu gesellschaftlicher Teilhabe. Niemand wird von diesem Traum ausgeschlossen. Amerikas Stärke besteht in der Einheit einer versöhnten Vielfalt aller seiner Bürgerinnen und Bürger, woher sie auch kommen, welcher Hautfarbe und sozialer Herkunft sie auch sind.

Trump verkörpert die pervertierte Version des amerikanischen Traums: der Starke setzt seine Freiheit durch auf Kosten der Schwächeren, auf Kosten derer, die anders sind, fremd, nicht in das eigene religiöse oder konservative Weltbild hineinpassen. Vielfalt und offener Diskurs wird als Bedrohung des eigenen Weltbildes und der eigenen Interessen abgelehnt. Amerika First! – Um jeden Preis.

Ob die USA den Weg zurückfinden zu ihrem inklusiven Traum „Aus den Vielen – ein Volk“? Ob das Gedicht zur Freiheitsstatue auch Flüchtlingen und Migranten morgen gilt? Oder ob der amerikanische Traum durch seine gegenwärtige Pervertierung dauerhaft seiner Kraft beraubt wird?

Wir wissen es nicht. Aber nicht politische Spekulationen stehen am Ende unserer Kirchenleitungsreise. Vielmehr eine in tiefer Gemeinsamkeit des Glaubens gegründete Kirchengemeinschaft. Sie verbindet uns als Evangelische Kirche von Westfalen mit der United Church of Christ in den USA und verpflichtet uns zu gemeinsamem Zeugnis für die Hoffnung, die Gott uns anvertraut. Was das bedeutet, haben unsere Präses Annette Kurschus und UCC-Kirchenpräsident Dr. John Dorhauer stellvertretend für unsere Kirchen in einer gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck gebracht. Sie trägt die Überschrift
„Hoffnung …nicht Furcht!“