In der multikulturellen Kirche des Waldenserzentrum La Noce in Palermo versammeln sich Einheimische zusammen mit Migranten aus Ghana, Nigeria, von der Elfenbeinküste und heute auch mit Gästen aus Westfalen. Pastor Timothy Tenclaw aus den USA erklärt: „Wir wollen unter den verschiedenen Kulturen zu einer guten Balance kommen. Jeder soll etwas finden, was ihm vertraut ist.“
Der kleine Kirchsaal ist gut gefüllt. Mitten auf dem Abendmahlstisch das Lesepult, an der Wand dahinter ein großes Kreuz, von hinten beleuchtet.
Als wir den Raum betreten, predigt ein Pastor aus Ghana – quasi als Vorprogramm zum Sonntagsgottesdienst – zu seinen Landsleuten. Er predigt lange und eindringlich. Neben mir sitzt eine alte Dame, die einen Zettel mit einem in sehr großen Buchstaben ausgedruckten Abschnitt aus dem 91. Psalm vor sich hat. Halblaut spricht sie den Text vor sich hin.
Die Predigt des Ghanaers ist zu Ende, der Chor singt, und endlich, mit fast halbstündiger Verspätung, beginnt der eigentliche Gottesdienst. Die Sprachen sind Englisch und Italienisch, das Pastor Timothy gut beherrscht. Zur Schriftlesung erhebt sich die alte Dame neben mir, geht nach vorn und liest mit kräftiger Stimme in ihrer italienischen Muttersprache aus dem 91. Psalm. Ein zehnjähriges Mädchen, blond und zierlich, schließt die Lesung in flüssigem Englisch an.
Christa Kronshage, Mitglied der westfälischen Kirchenleitung, predigt jetzt über Johannes 9. Jesus heilt einen Mann, der von Geburt an blind war. Anschließend, so der biblische Text, kommt es zu einer großen Fragerei über dieses unglaubliche Ereignis. Der Geheilte muss sich geradezu einem Verhör durch die Schriftgelehrten unterziehen. Diese, uneinig in der Einschätzung des Wunders, fragen immer wieder, wer was wie mit ihm angestellt hat. Und die Nachbarn des vormals Blinden rätseln, ob er es wirklich war oder ein anderer. Sie reden über ihn, aber nicht mit ihm.
Jesus handelt ganz anders, sagt Christa Kronshage. Er hat sich dem Blinden zugewandt, ihn berührt, ernst genommen und ihm gesagt, was er tun soll, damit er sehen kann. Die nachträgliche Fragerei führt nicht weiter. „Wenn ich Leuten zuhörte, die anders sind als die sogenannten Normalen“, sagt die Predigerin, „habe ich habe mehr über Gottes Güte gelernt als in all meinen theologischen Studien.“
Der Beifall nach der Predigt ist kaum verklungen, da müssen wir ganz eilig aufbrechen. Zum Flughafen, damit wir unsere Maschine nach Lampedusa nicht verpassen.