„Wir lieben diese Leute, und sie lieben uns“

Die Casa delle Culture ist ein Ort der Begegnung. Das war zunächst ganz anders.

Scicli. Gebäude in geschwungenen Formen aus gelbbraunem Kalkstein und gepflasterte Gassen und Plätze geben barocken Städtchen auf Sizilien sein ganz eigenes Gepräge. Mittendrin steht ein altes Haus. Als hier die ersten Flüchtlinge einzogen, Jugendliche und Frauen mit und ohne Kinder, war der Widerstand der Bevölkerung groß, Unterschriften wurden gesammelt, es gab Sorgen und Ängste. Heute, gut zwei Jahre später, ist das Unglaubliche geschehen: Die Casa delle Culture, das Haus der Kulturen, ist zu einem Ort der Begegnung geworden. „Wir sehen jeden Tag, wie unsere jungen Leute mit den jungen Flüchtlingen zusammenkommen, sagt Bürgermeister Enzo Giannone. „Wir lieben diese Leute, und sie lieben uns. Wir wollen Hoffnung für sie sein.“ Das nimmt man ihm gerne ab. Es ist offenbar wirklich so etwas wie eine große Familie, die 17-jährigen Afrikaner, die Frauen und die kleinen Kinder, die in den oberen Stockwerken schlichte Zimmer bewohnen. Zehn Hauptamtliche arbeiten in der Casa, unterstützt von derzeit fünf Freiwilligen aus Deutschland, den USA und Ungarn. Auch Benjamin Oros (23) aus Budapest spricht von einer Familie. Er studiert Anglistik und Amerikanistik und wollte eine weitere Sprache und Kultur kennenlernen. Nun kann er gut Italienisch und hat außerdem viel über afrikanische Kulturen gelernt.

Eine Familie braucht Regeln. Im Haus der Kulturen kochen und putzen die Bewohner gemeinsam, ordentliche Pläne für Küchendienst und Wäschewaschen hängen aus. Nachmittag gibt es Italienisch- und Englischkurse, die Volontäre musizieren mit den Jugendlichen, die nur wenig jünger sind als sie selber, oder machen kleine Ausflüge in die Stadt oder in die Umgebung.

Wer von der Erstaufnahmeeinrichtung in Pozzallo hierher kommt, kann sich glücklich schätzen. Eigentlich sollte der Aufenthalt drei Wochen dauern, doch alle bleiben monatelang – es ist nicht leicht, irgendwo unterzukommen. Alternativen zur Casa delle Culture sind staatliche oder private, vom Staat finanzierte Unterkünfte. „Die Casa delle Culture ist einzigartig“, sagt Giovanna Scifo, die quirlige Direktorin, nicht ohne Stolz. Der Bund der fünf winzig kleinen evangelischen Kirche in Italien (FCEI) trägt das Haus mit Unterstützung aus Westfalen.

„Ich bin begeistert, wie lebendig das ist“, sagt Andreas Huneke, Superintendent aus Vlotho und Mitglied der Kirchenleitung. „Die Mitarbeiterinnen strahlen Würde und Zufriedenheit mit der Arbeit aus. Hier geschieht etwas ganz Besonderes.“ Das finden auch die Volontärinnen Hanna Berger (18) aus Stuttgart und Lisa van Rensen (19) aus Karlsruhe. „Seit ich hier arbeite, merke ich, dass ich etwas auf dem Herzen habe“, sagt Lisa – nach dem, was sie alles über Flucht und Vertreibung gehört hat. Und Hanna ergänzt: „Es relativiert die eigenen Probleme. Der Blick auf das eigene Leben wird anders.“