25. Februar 2014
Ein mehrfacher Mörder steht uns gegenüber. Der junge Mann hat viele getötet, erschossen, erschlagen, sogar Menschen bei lebendigem Leib begraben. Nun erzählt er uns seine Geschichte. Seinen Namen und sein Bild dürfen wir nicht veröffentlichen.
Er war 14 Jahre alt, als ruandische Truppen vor seinen Augen seinen Vater umbrachten. Dieser Teil des Kongo war damals von Ruanda besetzt. Der Sohn wollte sich rächen. Er schloss sich einer der bewaffneten Gruppen an, die im Nordosten des Landes ihr Unwesen treiben. Gemeinsam mit seinen Komplizen beging er diese furchtbaren Verbrechen, von denen er uns jetzt berichtet. Er erzählt, so scheint es, nüchtern und sachlich.
Später verließ er seine bewaffnete Bande, besuchte eine Schule der baptistischen Kirche CBCA. Dort wusste zunächst niemand von seiner Vergangenheit. Erst das Seelsorgeprogramm, an dem er teilnahm, half ihm behutsam, sich zu öffnen. Er konnte in geschütztem Raum von sich selber erzählen.
Schließlich wurde ihm klar: Du musst dein Leben ändern. Er ließ sich taufen. Heute studiert er Krankenpflege. „Nachdem ich so viele Leben verletzt und zerstört habe, möchte ich mein Leben jetzt der Heilung und Pflege von Verletzten und Kranken widmen“, sagt er.
Sein Bericht bewegt mich, erschüttert mich. Und macht mich ratlos. Zweifel kommen auf. Ist das Bekenntnis überzeugend? Oder war sein Sinneswandel kalkuliert? Zum einen bin ich von der versöhnenden Kraft des Evangeliums beeindruckt. Hier ist uns dramatisch vor Augen geführt, was Umkehr, Buße wirklich bedeutet. Zum andern sind die Einwände des Juristen Dr. Michael Bertrams nicht von der Hand zu weisen: Hier bleiben schwerste Verbrechen ungesühnt – darf das sein?
Wir erfahren von Kirchenpräsident Dr. Kakule Molo, dass juristische Kategorien nach unserem Verständnis hier nicht ohne weiteres greifen. Würde dieser Täter strafrechtlich verfolgt, dann wäre es eine Schande und eine Gefahr für seine ganze Familie: Sie müsste mit Racheakten rechnen. Das Individuum ist nichts, die Familie ist alles. Bereut er aber seine Taten und fängt ein neues Leben an, dann bleibt die Ehre ebenso wie die Sicherheit der Familie gewahrt. Pragmatisch gesehen: Käme er ins Gefängnis, dann könnte er entweder gegen eine entsprechende Summe freigekauft werden (mit Geld lässt sich fast alles erreichen). Oder er würde eine jahrelange Strafe verbüßen – Buße in ganz anderem Sinne. Was das aus ihm machen würde, lässt sich leicht vorstellen. Wir befinden uns in einem Land, wo die staatliche Gewalt eine unter vielen ist, wo die Exekutive kaum funktioniert.
Der Heilungsprozess ist noch nicht abgeschlossen – vielleicht wird er eines Tages in sein Dorf zurückgehen können. Vielleicht wird er dann zeigen können, dass er ein neues Leben führt. Noch ist es nicht so weit.
Eine einfache Antwort gibt es nicht. Trotz aller kulturellen Erklärungen bleibt eine Spannung, die Spannung zwischen juristischen Maßstäben und einer bewegenden Erfahrung.
Anders als er leben Tausende andere, die ähnliches getan haben, ohne ihre Schuld in dieser Weise aufzuarbeiten. Viele davon sind in die Regierungsarmee integriert.
Der Einwand, dass hier Verbrechen ungesühnt bleiben trifft nicht den Kern des Problems. Strafe hat keinen Wert an sich, sie hat nur insofern eine Wert, als sie ein Ziel verfolgt: Sie soll vorrangig die Gesellschaft – vor einem uneinsichtigen, gefährlichen Verbrecher – schützen und den Täter resozialisieren. Beides ist in dem beschriebenen Fall bereits ohne ein Eingreifen der Behörden, durch die Kraft von Zuwendung, Vorbild und Glaube erfolgt. Diesen positiven Prozess sollte man nicht durch Rachemaßnahmen zunichte machen.