Ein altersschwaches Fischerboot, hoffnungslos überladen, sticht von der libyschen Küste in See. Ein paar Stunden später empfängt die Küstenwache von Lampedusa ein Notsignal von einem Satellitentelefon. Nach 45 Minuten hat man die Position des Fahrzeugs geortet. Es ist 30 Seemeilen von Libyen entfernt und damit bereits in internationalem Gewässer, doch für die Seenotrettung in diesem Teil des Mittelmeeres wäre Libyen zuständig.
Die Männer von der Guardia Costiera wissen, dass dieser kaputte Staat dazu nicht in der Lage ist, dennoch nehmen sie dorthin Kontakt auf – erwartungsgemäß ohne Erfolg. Wenig später laufen von Lampedusa zwei Patrouillenboote aus.
Lieutenant Paolo Monaco, Kommandant der Küstenwache Lampedusa, schildert uns, wie ein Einsatz aussehen könnte. Seine Zentrale verfügt über fünf Patrouillenboote. Fünf Navigationsoffiziere, zwei Rettungsschwimmer und im Bedarfsfall auch ein Arzt und eine Krankenschwester stellen die Besatzung eines solchen Seenotrettungskreuzers.
Nach fünf Stunden sichten die Männer von der Küstenwache das Boot, das hilflos auf dem Wasser treibt. Vermutlich Maschinenschaden. Auch die Flüchtlinge haben die rettenden Fahrzeuge gesehen, Unruhe kommt unter den dicht gedrängten Menschen auf. Das ist der gefährlichste Moment der Aktion: Wenn Panik ausbricht, wenn ein wildes Gedränge entsteht, kann das überfüllte Boot kentern. Es kommt vor, dass viele, auch Nichtschwimmer, plötzlich ins Wasser springen. Langsam nähert sich die Küstenwache, fordert die Flüchtlinge per Lautsprecher auf, Ruhe zu bewahren: „Alles wird gut! Bleiben Sie an Bord!“ Dann werden sie einer nach dem andern herübergeholt. Bald sind an die hundert Männer, Frauen und Kinder auf den beiden Patrouillenbooten. „Das ist einer der schönsten Momente“, erzählt Paolo Monaco, „sie lachen, singen, tanzen, klatschen in die Hände.“
Nach gut zwölf Stunden sind die beiden Seenotrettungskreuzer zurück im Hafen von Lampedusa. An der Mole stehen Polizisten, medizinisches Personal und Vertreter von Hilfsorganisationen bereit, auch die Frauen von Mediterranean Hope. Der Lieutenant zollt ihnen höchste Anerkennung: „Während andere mit den Händen in den Hosentaschen dastehen, bereiten sie den Flüchtlingen einen warmherzigen Empfang.“
180.000 Menschen sind im vergangenen Jahr aus dem Mittelmeer gerettet worden, seit 1991 rund 600.000. Warum ertrinken trotzdem so viele? 5.000 waren es 2016. So hoch war die Zahl noch nie. Warum kommt es immer wieder zu schweren Unglücksfällen, bei denen Hunderte ums Leben kommen? Nicht immer ist ein Satellitentelefon vorhanden, nicht immer können die Rettungskräfte rechtzeitig zur Stelle sein.
„Bei einer Organisation mit militärischem Charakter wie der Küstenwache ist es besonders eindrücklich, wenn ein Mensch mit Leidenschaft und Mitgefühl in verantwortlicher Position ist“, sagt Oberkirchenrätin Petra Wallmann.