27.000 Hausbesuche im Jahr

Von Dr. Ulrich Möller

Hinter nackten Zahlen können sich entsetzliche Schicksale verbergen, namenloses Leid, unsägliches Elend. Bischof Kevin Dowling präsentiert uns eine Menge solcher statistischer Informationen.

6,2 Millionen der 52 Millionen Einwohner Südafrikas sind HIV-positiv. Jährlich sterben 200.000 Menschen an Aids, gleichzeitig infizieren sich 100.000 neu. Über zwei Millionen Kinder haben ihre Eltern durch die Krankheit verloren. Alle 26 Sekunden wird eine Frau vergewaltigt; die Polizei schätzt, dass zwei Drittel aller Vergewaltigungen nicht angezeigt werden.

Tapologo ist ein Wort der Setswana-Sprache und bedeutet: Ort der Ruhe und des Friedens. Einen solchen Ort hat der katholische Bischof mit der Organisation Tapologo in Rustenburg geschaffen.

Aber was sind die Ursachen für die Aids-Pandemie? Warum ist die Krankheit so schwer in den Griff zu bekommen?

Aids ist eine Krankheit der Armut. Wer sich nicht gesund ernähren kann, keinen Zugang zu sauberem Wasser hat, wem es an elementaren hygienischen Bedingungen mangelt, der ist anfällig für eine Infektion.

In der Bergbaustadt Rustenburg, wo die Platinminen der größte Arbeitgeber sind, kommen die Arbeiter von weit her, leben dann zu Tausenden fern von ihren Familien in Wohnheimen. Alleinstehende Frauen (mit oder ohne kleine Kinder) werden oft zu Objekten sexueller Ausbeutung: Prostitution und Vergewaltigung. So ist es auch in anderen Industriezentren. Die Seuche breitet sich aus.

Was tun? Medikamente zur Behandlung von HIV sind heute im staatlichen Gesundheitssystem Südafrikas zwar frei zugänglich, es fehlt jedoch an medizinischen und pflegerischen Fachkräften. Die staatlichen Hilfsprogramme schaffen es nur unvollständig, die HIV-Patienten bei der Einnahme der Medikamente zu überwachen und zu begleiten. Denn dazu gehört auch die entsprechende Beratung und soziale Fürsorge. Im Platin-Bezirk Bojanala sind mindestens 212.000 Menschen HIV-positiv. Doch nur 80.000 haben Zugang zu Medikamenten.

Der Staat muss also mit nichtstaatlichen Partnern wie Tapologo zusammenarbeiten, sagt Bischof Dowling. Die Bilanz seiner Hilfsorganisation ist beeindruckend.

Zehn Pflege- und Beratungsteams sind von Haus zu Haus unterwegs. Waisen und andere schutzbedürftige Kinder erhalten Unterstützung. In einem Rustenburger Slumgebiet mit 20.000 Einwohnern arbeitet ein mobiles Team, bestehend aus einem Arzt, drei Krankenschwestern und mehreren Hilfskräften. 90 Gesundheitsberater machen durchschnittlich 27.000 Hausbesuche im Jahr. Ein Hospiz zur Sterbebegleitung bietet 20 todkranken Menschen Platz.

Dazu kommen Bildungsangebote – zum Beispiel mit dem Ziel, die sexuelle Verantwortung zu stärken.

Verwaltung und Finanzierung, darauf legt Kevin Dowling großen Wert, arbeiten effizient und transparent. Ein Kuratorium hat die Aufsicht über die Organisation.

Diese imponierende Arbeit ist für den Bischof nur möglich auf der festen Grundlage seiner Überzeugung: „Wir vermitteln den Menschen: Du bist nach dem Bild Gottes geschaffen. Du bist unendlich wertvoll. Keine Macht der Welt kann daran etwas ändern.“

Der katholische Bischof – übrigens der einzige Katholik bei Tapologo, wie er lächelnd erklärt – ist von einer tiefen Liebe zu seinen Mitmenschen durchdrungen. Das spürt man bei dem sanften, freundlichen Mann sofort. Dass er auch ein guter Organisator ist, der mit stiller Energie und Geduld seine Sache voranbringt, steht außer Frage. Sonst könnte Tapologo nicht so erfolgreich sein.

Dowling gehört wie ich zu dem achtköpfigen Stiftungsrat von CHABAHIVA. Die Abkürzung steht für „Church and Business against HIV/AIDS“. Die Initiative „Kirche und Wirtschaft gegen HIV/AIDS“ ist von den evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen gegründet worden. Mitträger aus Deutschland sind heute die Evangelische Kirche von Westfalen und die Lippische Landeskirche. CHABAHIVA hat in Südafrika die Rechtsform einer Stiftung. Sie unterstützt auch Tapologo.

Die Quelle, aus der die Akteure von Tapologo ihre Kraft schöpfen, gehört selbstverständlich zum Alltag. Der Tag beginnt mit Gebet und Besinnung. Wichtig ist auch „Care for the carers“ – die geistliche und seelische Unterstützung der Mitarbeitenden durch Seelsorge, kollegiale Gespräche, Austausch und Reflexion.

Um die Pandemie zu besiegen, braucht es zweierlei, findet der Bischof: kompromisslose Prinzipien und Empörung. Wer ihn kennt, möchte ergänzen: Es braucht auch dieses Vertrauen in Gottes Güte und Macht, das Kevin Dowling ausstrahlt.