Ein Schnaps zur Begrüßung. Seine Eminenz Aram Atesyan, der
stellvertretende armenische Patriarch der Türkei, empfängt uns mit süßem
Kräuterlikör und Pralinen. Der Herr ist auferstanden frohe Ostern!
Mit 70.000 Mitgliedern sind die Armenier die größte christliche
Minderheit in der Türkei. Als Gründer ihrer Kirche betrachten die
armenischen Christen die Apostel Bartholomäus und Thaddäus. Sie gingen,
so die Legende, nach Armenien und verkündigten dort das Evangelium. Und
weil der Berg Ararat, auf dem die Arche Noah am Ende der Sintflut
aufgelaufen ist, im historischen Armenien liegt, erinnern die spitzen
Kopfbedeckungen der armenischen Würdenträger an einen Berggipfel.
In der Türkei sind die Armenier wie Juden und Griechen zwar als
ethnische und religiöse Minderheit anerkannt. Als Kirche leiden sie
jedoch darunter, dass der Staat seine Hand über ihren Besitztümern hält.
Das bedeutet: Kirchengebäude, Schulen und auch Friedhöfe sind nicht im
Besitz der Kirche, sondern werden von Stiftungen unter staatlicher
Aufsicht verwaltet. Zwar haben die Armenier ihren Stiftungsräten bislang
immer noch die Mehrheit, doch theoretisch könnte es geschehen, dass ein
solches Gremium die Übergabe an den Staat beschließt. Die armenische
Kirche lebt von den Gebühren, die für Taufen, Trauungen und Beerdigungen
erhoben werden, und von Spenden.
In jüngster Zeit hat sich manches verbessert. Armenier haben heute
keine Probleme mehr, ihre Nationalität in den Personalausweis eintragen
zu lassen. Das war vor wenigen Jahren noch anders. Das stärkste, bisher
einzigartige Zeichen für einen Wandel war vor kurzem die Rede von
Ministerpräsident Erdogan, in der er den Völkermord am armenischen Volk
ab 1915 bedauerte die türkischen Armenier waren freudig überrascht.
Der stellvertretende Patriarch Atesyan weiß, dass das Umschwenken der
offiziellen Politik nicht von heute auf morgen geht. Noch ist das
grundlegende juristische Problem der fehlenden Selbständigkeit nicht
gelöst. Wir werden immer noch als zweitklassig betrachtet, sagt
Aram Atesyan. Doch er weiß auch von einem bevorstehenden Gespräch zu
berichten, das er demnächst mit Erdogan hat. Im nächsten Jahr, wenn sich
der Völkermord zum hundertsten Mal jährt, werden sich die Augen auf die
Türkei richten: Wie geht dieses Land mit seiner Geschichte um? Die Zeit
der staatlich angeordneten Verdrängung scheint jedenfalls vorbei.