Kigali, 21. Februar
Heute Morgen Besuch beim deutschen Botschafter Peter Fahrenholtz in Kigali. In die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ruanda gelangt man nur nach einer umständlichen Sicherheitsprozedur: Nur einzeln dürfen wir eintreten, unser Gepäck wird von einem freundlichen, etwas verlegenen Sicherheitsmann durchsucht. Mobiltelefone bleiben zurück. Das Ganze dauert für sieben Personen gut zwanzig Minuten. Der Botschafter bittet um Nachsicht: Ruanda sei eigentlich eines der sichersten Länder Afrikas, aber eine terroristische Organisation droht mit Anschlägen.
Wie ist heute die Lage in einem Land, wo vor zwanzig Jahren der größte Völkermord seit dem Holocaust geschehen ist? Botschafter Fahrenholtz spricht anerkennend über die große Leistung des Wiederaufbaus und der Versöhnung. 1994 wurden etwa eine Million Tutsi, aber auch gemäßigte Hutu von organisierten Hutu-Banden ermordet.
Die Verhältnisse heute seien stabil. Ruanda sei zwar ein Staat mit autoritären Zügen, aber keine Diktatur. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe ganz klar hinter Präsident Paul Kagame. Doch Peter Fahrenholtz benennt auch drohende Risiken für die Zukunft: Die Ernährungslage könnte kritisch werden, die Arbeitslosigkeit, besonders unter Jugendlichen, könnte dramatisch zunehmen.
Ob die stabile Lage anhält? Wie lange hat es in Deutschland gedauert, bis über die Nazi-Verbrechen offen geredet wurde? Erst Mitte der sechziger Jahre waren die Auschwitz-Prozesse, und erst die Achtundsechziger gaben den entscheidenden Impuls, die braune Vergangenheit nicht länger zu verdrängen.
Später werden wir gemeinsam von den beiden evangelischen Partnerkirchen empfangen. Präsident Dr. Elisée Musemakweli stellt seine Presbyterianische Kirche vor, ebenso die Bischöfe Nathan Gasatura, Jered Kalimba und Augustin Mvunabandi ihre Anglikanische Kirche in Ruanda.
Oberkirchenrat Dr. Ulrich Möller:
Wie kann Versöhnung wachsen, 20 Jahre nach dem Genozid? Ein Beispiel sind die vielen Hauskreise, in denen sich wöchentlich jeweils zehn Familien in ihrer Nachbarschaft treffen. Ein unscheinbares Beispiel auf den ersten Blick, doch in Wirklichkeit hat es eine enorme Tiefendimension. Diese Nachbarschaftszellen fragen nach der versöhnenden Kraft des Evangeliums. Sie teilen die Bibel, um gemeinsam für ihre individuelle Situation – als Opfer oder als Täter oder vielleicht auch beides zugleich – einen gemeinsamen Weg zu finden. Sie erleben, wie stark und befreiend die Wahrheit der Botschaft von Gottes bedingungsloser Liebe ist. So kann das Evangelium tatsächlich eine Gemeinschaft eröffnen, die stärker als alles andere ist – alles, was an Schuld für entsetzliche Verbrechen zwischen den Menschen steht. Dabei geht es gerade nicht um einen Schlussstrich unter die schlimme Vergangenheit, nicht um ein „Schwamm drüber“. Im gemeinsamen Bewusstsein der geschichtlichen Wahrheit und im gemeinsamen Vertrauen auf Gottes Wahrheit und Liebe können die Herausforderungen der Zukunft angepackt werden. Und hier mündet die Besinnung auf das Evangelium in diakonisches Engagement: Der gemeinsame Kampf gegen die Armut, die nachbarschaftliche Hilfe für Schwache und Benachteiligte, gehört zum Selbstverständnis.
Die Nachbarschaftszellen sind unabhängig von Struktur und Organisation der Anglikanischen Kirche entstanden. Sie haben ein ökumenisches Potenzial, das die Unterschiede der Kirchen in Tradition und Stil für die gemeinsamen Aufgaben produktiv nutzen könnte. In einem nächsten Schritt wird es sicher darauf ankommen, über die individuelle Hilfe hinaus Formen zu finden, die dieses Engagement in größeren Zusammenhang bringen.