Entrinnen aus der Wiederkehr der Gewalt

1.März

Dr. Michael Bertrams  
Der Besuch der Genozid-Gedenkstätte in der ruandischen Hauptstadt Kigali gehört zum Pflichtprogramm unserer Delegationsreise. Die 2004 als Museum errichtete Gedenkstätte ist der zentrale Ort der nationalen Erinnerung an ein monströses kollektives Verbrechen, ein Ort der Erinnerung an über eine Million Tote. Diese exzessive Gewalt hat tiefe Spuren in der ruandischen Gesellschaft hinterlassen, Spuren, die viele Überlebende, darunter auch manche Täter, noch heute an Körper, Geist und Seele zu tragen haben.

Ausgestattet mit einem modernen Audioführer und einem Plan des Museums, gehen wir durch die sehr informativ gestalteten Räume. Wir erfahren mehr und Genaueres über den Völkermord des Jahres 1994. Innerhalb weniger Wochen töteten seinerzeit Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutus, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten.

Die Hintergründe und Abläufe des Geschehens sind äußerst komplex. Sie stehen im Zusammenhang mit einem langjährigen, bis in die Kolonialzeit zurückreichenden Konflikt. Er war unter anderem geprägt durch eine rassistische Trennung der Hutu und Tutsi. Diese Trennung der beiden Bevölkerungsgruppen wurde im Interesse politischer Macht forciert.

Aus der Fülle der Informationen ragen folgende heraus: In der Hoffnung auf Schutz suchten damals Tausende Menschen Zuflucht in den Kirchen des Landes. Sie wurden zur furchtbaren Falle, da katholische Priester – so die Aussage des Museums – den mordenden Hutus die Kirchentüren öffneten. Sehr umstritten ist die Rolle der internationalen Gemeinschaft, besonders der Vereinten Nationen, denen Tatenlosigkeit vorgeworfen wird, sowie die Rolle Frankreichs. Das Land bildete damals die ruandischen Streitkräfte aus und soll in dieser Funktion aktiv am Genozid mitgewirkt haben.

Mit Blick auf die systematische Planung und Durchführung des Völkermords zieht das Museum Parallelen zum Genozid an den europäischen Juden. Ein Überlebender des Holocaust hat für das Museum eindrucksvolle Glasfenster geschaffen. Bei ihrem Anblick denke ich an die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, wo wir auf einer Delegationsreise 2013 in die tiefsten Abgründe menschlicher Barbarei blicken konnten. Dies führte uns mit großer Eindringlichkeit vor Augen, zu welch monströsen Verbrechen Deutsche fähig gewesen sind.

Was nehmen wir mit von unserem Besuch der Gedenkstätte in Kigali? Wir nehmen mit, dass auch an diesem Ort Blumen niedergelegt und Ansprachen gehalten werden, deren zentrale Botschaft lautet: never again, nie wieder! Doch wir wissen, was aus solchen Beschwörungen werden kann: Die Blumen der Totenehrung verdorren, die Ansprachen verhallen, und die Beschwörungen des „Nie wieder!“ geraten in Vergessenheit. Neue, unfassbare Gewalttaten ereignen sich. Erneut sind unzählige Opfer zu beklagen, und neue Gedenkstätten werden errichtet.

Gibt es kein Entrinnen aus dieser tragischen Wiederkehr von Gewalt?

Gewalt schafft keinen Frieden, hat Dietrich Bonhoeffer gesagt. Davon sind auch viele Ruander überzeugt, die sich seit Jahren mir großer Leidenschaft und Hingabe für Aussöhnung und Frieden einsetzen. Sie tun dies oft über selbst erlittene Verletzungen und Gewalterfahrungen hinweg, und auch aus ihrem christlichen Glauben heraus. Sie handeln im Vertrauen auf Gottes Wort, das Krieg und Gewalt eine klare Absage erteilt. Diesen Ruandern fühlen wir uns besonders verbunden. Wir werden sie auch künftig im Rahmen unserer Möglichkeiten als Evangelische Kirche von Westfalen tatkräftig unterstützen.