Schon das Zuschauen tut weh

24.6.13

Gestern sahen wir auf der Halbinsel Jaffna ein Hindu-Ritual, bei dem das bloße Zuschauen wehgetan hat.
Ein Tempelfest. Lärmender Umzug auf der Straße, Menschen in bunten Kostümen tanzen und singen, Trubel und Geschrei. Ein Traktor zieht einen farbenfroh geschmückten Anhänger. Daran ist ein drei Meter hohes Dach befestigt, das wie ein großer Baldachin aussieht. Es bewegt sich auf und ab, oben hüpfen einige Männer und versetzen das Ganze in Schwingung.

An Haken aufgehängt
Und nun sehen wir es: Vorne an dieser riesigen Wippe, an der Spitze des Gespanns, hängen zwei Männer waagrecht nebeneinander. Unbewegt machen sie das Auf und Ab mit, umtanzt von der lauten Menge. Ihre Haut ist am Rücken und an den Waden von Haken durchstochen. Daran sind sie aufgehängt (Bild). Andere werden an solchen Haken in wilden
Tanzbewegungen mit Schnüren gezogen und hüpfen mit. Später kommen wir dazu, wie bei einem jungen Mann gerade die Seile an den soeben durch die Haut gezogenen Haken befestigt werden.
Solche Ereignisse sind hier sehr beliebt, erfahren wir. Die Männer haben ein Gelübde abgelegt, damit die Gottheit ein bestimmtes Anliegen erfüllt. Wenn das geschieht, unterziehen sie sich dieser unglaublichen Prozedur. Dabei versetzen sie sich durch Meditation in einen Trancezustand, der keine Schmerzen empfinden lässt. Es fließt kein Blut.

Früher auch bei uns: Selbstkasteiung
So huldigen gläubige Hindus ihren Göttern in höchster Form. Auf Jaffna gibt es über 2000 hinduistische Tempel.
Mein erster Gedanke: Was ist das für eine Religion, deren Götter auf solche Weise erfreut werden? Doch auch die Geschichte des Christentums ist nicht frei von ähnlichen Spielarten des Glaubens: Im Mittelalter geißelten sich fromme Menschen, schlugen sich selber den Rücken blutig, um Gott gnädig zu stimmen. Was für eine krasse Missdeutung des Evangeliums! Noch Martin Luther hat sich als Mönch damit gequält. Angesichts der Hindus, die ihr Fleisch durchbohren lassen, kann ich nur sprachlos sein. Und – ohne kulturelle Überheblichkeit – dankbar dafür, dass ich als Geschöpf Gottes von vornherein angenommen und geliebt bin.