Weit offene Tür

Die Tür zum Gottesdienstraum der Kirche St. Peters by the lake in Johannesburg ist weit offen, als wir gegen halb elf ankommen. Die Kirche ist nicht leer, aber auch nicht ganz gefüllt. Es wird bereits gesungen.

Bis wir merken, dass der Gottesdienst schon begonnen und wir – wegen eines Missverständnisses – deutlich zu spät gekommen sind, dauert es trotzdem eine Weile. Schließlich ist ja die Kirchentür noch weit offen und wir sind auch nicht die einzigen, die vor der Tür noch die wundervolle Morgensonne und den Blick in den Park im Stadtviertel genießen, bevor sie nach drinnen gehen und sich einen Platz suchen.

„Bei uns ist die Tür immer offen“, wird Edwin Dedekind, der deutschstämmige Pfarrer der Gemeinde später in seiner Predigt sagen. Aber was viele Gemeinden von sich behaupten, darf man hier wörtlich nehmen. Die Tür bleibt auf während des Gottesdienstes, denn – so Dedekind – „es kommt nicht darauf an, wann die Leute zur Kirche kommen, es kommt darauf an, dass sie überhaupt kommen.“ Und er berichtet von einer Erfahrung während seines Gastvikariats in Deutschland, wo die Leute, jedenfalls vor 20 Jahren, lieber wieder heimgingen, statt eine Minute zu spät zum Gottesdienst zu kommen. Dann war die Tür natürlich schon geschlossen.

Ob das noch immer so ist, will Pfarrer Dedekind von den deutschen Besuchern wissen – mitten in der Predigt über das Gleichnis Jesu vom betenden Zöllner und Pharisäer. Die wird zwanglos und frei, aber noch lange nicht planlos gehalten.

Und ich wünschte, ich könnte auf die Frage, ob das noch immer so ist, von Herzen nein sagen. Ich antworte mit „It‘s getting better“, und denke mir, das kann man wohl als ehrliche Antwort noch durchgehen lassen.

Zugleich bin ich beeindruckt und auch ein bisschen neidisch darauf wie hier, in der ehemals rein deutschen Gemeinde, nicht nur von Offenheit geredet, sondern diese auch gelebt wird: Sechzehn verschiedene Kulturen und Ethnien kommen in den Gottesdienst, weshalb Englisch die gemeinsame Sprache der Gemeinde ist – gerade weil sie niemandes Muttersprache ist. Und seit die Jugendlichen aus dem armen Nachbarstadtteil Hillbrow den Weg in den Gottesdienst gefunden haben, ist die Vielfalt nicht nur eine der Hautfarben und Kulturen, sondern auch eine von wohlhabenden und ärmeren Menschen. Und nicht zuletzt eine zwischen den Generationen. Denn die Gemeinde räumt den Jugendlichen auch in den Gottesdiensten Platz ein. Sie sollen vorkommen mit ihren Liedern und der Weise, ihren Glauben zu leben, wovon wir uns durch eine begeisternden Rapp- und Tanzperformance des Jugendchores überzeugen konnten. Und seit sie vorkommen dürfen, kommen sie auch wieder.

„Wir haben gemerkt“, so erzählt der Pfarrer später, „dass die Jugendlichen spätestens nach der Konfirmation nicht mehr in die Gottesdienste kommen. Und wenn man wie in unserer Kirche von den direkten Gaben der Mitglieder lebt, dann kann man sich ja ausrechnen, was in ein paar Jahren sein wird. Darauf wollten wir reagieren.“

Es klingt sehr einfach und einfach überzeugend, wie er das sagt. Und so bin ich fast erleichtert, als er davon berichtet, es habe durchaus auch Widerstände gegeben, sodass schließlich zwei Gottesdienste angeboten wurden. Ein eher klassisch-liturgischer und ein eher moderner, mit Band und Lobpreisliedern. Jetzt, so erfahren wir, haben beide Gottesdienste so viele Besucherinnen und Besucher wie früher der eine, und in beiden sitzen junge und ältere Menschen.

Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde St. Peters by the Lake gehört zur ELCSA-NT, der ehemals deutschsprachigen Evangelisch-Lutherische Kirche Südafrikas, die auf die Gründung von Hermannsburger Missionaren zurückgeht und vor allem in der ehemaligen Provinz Natal-Transvaal (daher die Abkürzung NT), beheimatet ist. „Aber“ so Bischof Horst Müller, „wenn ich als Bischof der German Church angesprochen werde, dann sage ich immer: That’s what we come from, but it’s not what we are.“

Als Synodenthema hat sich die Kirche, so erzählt Bischof Müller später beim Mittagessen, das Thema „Unity and Diversity“ (Einheit und Vielfalt) gegeben. Zuerst hieß es umgekehrt „Vielfalt und Einheit“, aber das hätte leicht dazu führen können, dass man die Vielfalt als das Problem und die Einheit in Christus als Ziel oder Lösung versteht. Aber es sei doch wohl eher umgekehrt, so Müller: „Die Einheit in Christus ist die Basis, und als Gabe Gottes befähigt sie uns, die Vielfalt willkommen zu heißen und zu vergrößern.“

Das werde ich nicht so schnell vergessen.