Neue Töne gegenüber Armeniern

Gespräch mit Gunnar Köhne, einem deutschen Hörfunk- und
Fernsehjournalisten, der seit 17 Jahren in der Türkei lebt.

Das aktuelle Thema im Moment: Ministerpräsident Erdogan hat öffentlich
Mitgefühl geäußert für die Armenier, die 1915 und in den Jahren
danach von türkischer Seite systematisch verfolgt, umgebracht oder
vertrieben wurden. Erdogan zeigt Mitgefühl mit den Armeniern so
etwas war noch bis vor kurzem undenkbar. Zwar wird man inzwischen nicht
mehr wie früher strafrechtlich verfolgt, wenn man dieses
Verbrechen als das bezeichnet, was es war: Völkermord. Doch die neuen
Töne, die der mächtigste Mann im Staat jetzt angeschlagen hat,
eröffnen offenbar ein neues Kapitel im Umgang mit dieser
Vergangenheit. Darauf haben die Armenier seit über 90 Jahren
gewartet, sagt Köhne.

Der Präsident des obersten türkischen Gerichts, Hasim Kilic, hat in
einer Rede mit scharfen Worten Erdogans Politik gegeißelt. Die Regierung
stelle sich immer mehr über das Gesetz, Der Gescholtene war unter den
Zuhörern der Gardinenpredigt. Er verließ anschließend den Saal.
Warum ist Erdogan jedenfalls bis jetzt so erfolgreich? Korrupt
sind alle, sagen die Leute, die ihn wählen, aber er tut wenigstens
etwas. Er hat für Geringverdiener eine Krankenversicherung eingerichtet,
er hat Autobahnen bis in die hintersten Winkel gebaut und Flughäfen in
jedem Provinznest, er pflastert die ganze Gegend mit Wohnblöcken zu, wo
man fließend warmes Wasser hat. Das ist Fortschritt, das kommt an. Dinge
wie das Twitter-Verbot interessieren viele Leute außerhalb der
Metropolen nicht. Hinzu kommt: Erdogans AKP beherrscht 60 Prozent der
Medien.

Kurz vor Mitternacht. Auf der Istiklal Caddesi, der bunten
Fußgängerstraße, pulsiert immer noch das Leben.