Das Grauen des Krieges

23.6.13

Der Mann hat beide Beine von den Hüften an verloren. Eine
Artilleriegranate hat sie zerfetzt, gerade als er mit seiner Familie fliehen wollte. Zunächst blieb er liegen, weil alle anderen um ihr Leben rannten. Nach notdürftiger Versorgung konnte er erst Tage später in ein Krankenhaus gebracht werden. Seine Frau ist tot, für seine fünf Kinder kann er nun nicht mehr sorgen.

Einem anderen haben Granatsplitter das Augenlicht geraubt. Auch er kam erst nach Tagen in ärztliche Behandlung. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre wohl ein Auge noch zu retten gewesen.

Die junge Frau trägt eine Prothese. Ein Bein wurde von einem Geschoss getroffen. Zu der gelernten Erzieherin kommen nun Kinder aus Familien, die der Krieg zerrissen hat, nach Hause zur Betreuung. Sie bringen dafür etwas Geld mit. So hat sie ein kleines Einkommen.
Wir sind zu Gast in der Kirche des Ortes Paranthan. Sie erzählen uns ihre Geschichten (Bild), Geschichten vom Krieg. Auf dem Weg hierher sahen wir zerschossene Häuser und Stämme von Palmen, die ohne Krone in den Himmel ragen. Artilleriefeuer hat sie gekappt. Streckenweise säumen kleine rote Schilder mit Totenkopfzeichen den Straßenrand: Minengefahr.

Erdlöcher als Bunker
2009 fand der blutige Bürgerkrieg hier im Norden ein grauenhaftes Ende. Die Regierungstruppen trieben die tamilische Zivilbevölkerung vor sich her, immer weiter, bis Tausende von Menschen an einem letzten Rückzugsort an der Küste zusammenströmten, dort Hütten bauten und Zelte aufschlugen. Alle Wege waren ihnen abgeschnitten, im Rücken hatten sie das Meer. Da griff die Regierungsarmee diese Flüchtlinge mit schwerer Artillerie und aus der Luft an. Erdlöcher, in den Sand gegraben, boten kaum Schutz.
Wir fahren durch den Ort des Geschehens, aus dem Busfenster kann ich fotografieren. Häuserruinen säumen den Weg, einige davon sind provisorisch geflickt und bewohnt, Wäsche flattert im Wind. Überall sieht man auf dem Boden kreisrunde, flache Sandwälle verschiedenen Umfangs. An ihren Rändern liegen Stofffetzen, Schuhe, Trümmer. Das, so erfahren wir, waren die sogenannten Bunker, gegrabene Löcher, in denen viele starben, als die Bomben fielen.

Metallplatten vom Wrack
Vor der Küste liegt das Wrack eines großen Schiffes im Meer. Als dieser Frachter hier gestrandet war, ergriffen die tamilischen Rebellen Besitz von ihm und begannen den Rumpf zu demontieren. Mit den so gewonnenen Metallplatten versuchten sie die „Bunker“ widerstandsfähig gegen Luftangriffe zu machen – ohne viel Erfolg. Heute ist das riesige Wrack offenbar eine Attraktion, die viele Ausflügler anzieht. Wie die Gräten eines halb aufgegessenen Fisches ragen die nackten eisernen Spanten in die Luft.

Spuren nicht verwischen
Nach offizieller Lesart hat der überwiegend singhalesische Staat hier gegen Terroristen gekämpft und gesiegt. Dass die tamilischen Rebellen im Kampf um einen eigenen Staat streckenweise einen Guerillakrieg gegen die Regierungsarmee führten und auch vor Terrorakten nicht zurückschreckten, ist unbestritten. Was hier jedoch geschah, war kein Krieg gegen den Terror, sondern ein Massaker an der Zivilbevölkerung. Die Spuren sollen nicht verwischt werden, finden viele Tamilen, denn es ist ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Deshalb sehen viele Tamilen ein UNO-Hilfsprogramm zum Wiederaufbau durchaus kritisch: Der Staat gibt die UNO-Gelder an Bürger weiter, die sich hier ansiedeln. Das scheint gut und sinnvoll, schafft jedoch vollendete Tatsachen und beseitigt die Beweise für den Verstoß gegen die Menschenrechte.

Woltan Karuwairaj (24) hat auf der Seite der tamilischen Rebellen gekämpft. Eine schlecht verheilte Wunde am linken Unterschenkel zeugt davon. Nach Kriegsende wollte seine Familie nichts mehr von ihm wissen. Er fand eine neue Heimat in der Methodistischen Kirche und ließ sich taufen. Sein Berufsziel: Pfarrer. Nun macht er in einem Dorf in der Kirchengemeinde ein erweitertes Praktikum, unterrichtet Kinder, unterstützt den Pfarrer. Dazu hat er sechs Monate lang eine
Basis-Ausbildung durchlaufen. Wenn er sich in der praktischen Arbeit zwei Jahre lang bewährt, wird er zum Theologiestudium zugelassen.